(Aus: Buddhismus aktuell 3/2006)
Erfahrungen einer Frau auf dem Zen-Weg
Dagmar Doko Waskönig
Es mag eine glückliche Fügung gewesen sein, dass mich der Wunsch zu meditieren in den späten 70er Jahren zum Zen gebracht hat. Und zwar in solche Übungsgemeinschaften, in denen der Gedanke, als Frau sei ich zweitrangig, nicht für alle Aspekte des Weges geeignet, gar nicht erst aufkam. Zugegebenermaßen hätte mir solch ein Denken auch seit jeher fern gelegen.
Wie selten eine solche Grundhaltung freilich bei Frauen meiner Generation noch war, wurde mir erst im Laufe der Jahre in vielen Gesprächen deutlich. Und so sei insbesondere meinen Gymnasiallehrerinnen ein großer Dank „hinterhergeschickt“, die als beeindruckende Vorbilder souverän ein Leben kluger Frauen vorlebten – die Alternative zum Rollback-Frauenmodell der Adenauerzeit. Auch in der Familie sah ich Frauen, die auf unterschiedliche Weise in sich ruhten, selbständig und in gewissem Sinne „stark“ waren. Ein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber Männern wurden mir auf diese Weise nicht vermittelt – ein wenig könnte eher das Gegenteil der Fall gewesen sein…
So war es schon gut, dass ich angesichts des Weges zur Ordination und zur Dharma-Lehrerin, der sich mir schlussendlich darbot, nicht auf einige schwer zu überwindende Hürden für Frauen traf, die in anderen buddhistischen Schulen durchaus gegeben sind. Etwas verkürzt gesagt: Die Möglichkeit der Ordination gab es damals im Theravada noch nicht bzw. nicht mehr. Und in den tibetischen Schulen gibt es selbst unter den Tibeterinnen kaum eine Frau, die eine Lehrautorität wie die Geshes, Khenpos oder Rimpoches hätte. Sehr anders ist die Situation der Zen-Schulen, und zwar nicht nur in Japan, sondern auch in Korea oder Taiwan.
Also gäbe es zum Thema „Frauen und Buddhismus“ von meiner Seite aus nichts zu sagen? – So ist es nun auch wieder nicht. Allerlei war und ist disbezüglich zu beobachten, und ein entsprechender Entwicklungsprozess meiner Einstellung ging bewusst vonstatten. Indessen möchte ich die Leser und Leserinnen bitten, all die angemerkten Dinge in rechter Proportion zum kostbaren Dharma anzusehen.
Vom Lernen zum Lehren
Als ich die ersten neuntägigen Übungsperioden (Sesshin) bei meinem ersten Lehrer in Italien besuchte, erlebte ich beeindruckt die Entfaltung der Übungspraxis von etwa 150 Leuten. Die vielen Verantwortlichen, deren konzentriertes Tun man bewundern konnte – sie alle waren Männer: der Koch, der in unserer Tradition von Meister Dogen so hochgeschätzt wird, der Leiter der Sitzhalle, die diversen Leute an den verschiedenen Instrumenten, die Leiter der Arbeitsgruppen. Frauen begegnete ich im Büro und als Leiterin der Nähgruppe für das Buddhagewand.
Bereits ein paar Jahre später begann sich diese Situation zu ändern. Erfahrene Frauen übernahmen weitere wichtige Funktionen. Bedingt durch die forciert eingesetzten Methoden des Meisters, die permanenten Angriffe auf das Ego, das Einfordern ungeteilter Motivation für den Weg sowie eines an die Grenze des Machbaren gehenden Einsatzes – kurz: ein rigoroses Vorgehen als Lehrer, für den die das Mark treffende Ironie, die verbale Aggression an der Tagesordnung waren, führten langsam aber sicher dazu, dass mehr und mehr männliche Übende dem nicht mehr standhalten konnten oder wollten.
Am Ende bestimmten wir Frauen – vom Meister selbst einmal abgesehen – den Ton, atmosphärisch offenbar nicht zum Nachteil für die Gemeinschaft. Frauen hatten sich als entschlossener auf dem Weg und als zäher erwiesen. Als wir dann einige Sesshins ausschließlich mit Nonnen in den wichtigen Funktionen durchführten und der Meister uns die Verantwortung weitgehend überließ, musste ich zuweilen innerlich schmunzeln, wenn ich all die Männer sah, die sich ganz brav unserer Führung anheim gaben, so als sei dies das Selbstverständlichste von der Welt.
Doch die allmählich krisenhaft auf die Spitze getriebenen herausfordernden Methoden des Meisters, die manche an alte chinesische Meister denken ließen, hatten bei mir inzwischen die Einsicht bewirkt, dass solches Vorgehen nicht optimal hilfreich sei. Zu viele wertvolle Menschen sah ich den Zen-Weg aufgeben, ja, die permanenten Attacken ließen offensichtlich den verbleibenden Übenden keinen Raum, das erwünschte Verhalten zu entfalten.
Längst war ich selbst als Lehrerin autorisiert und hatte meinen Lehrstil inzwischen bewusst geändert. Zuvor ließ ich nach dem Vorbild des Meisters ein gewisses Maß an Strenge walten, erprobte auch die ironische Kritik, freilich niemals die heftige Aggression. Nun wurde mein Stil sanfter, seither versuche ich, stärker die individuell gegebene Situation der Übenden zu berücksichtigen, sie behutsamer auf dem Weg zu begleiten und durchgehend eine freundliche Atmosphäre zu erhalten. Dieser Wandel hat – so scheint es mir – ebenso mit meinem Bewusstsein als Frau zu tun als auch mit der Einsicht, dass die oft bewunderten, speziellen Zen-Methoden nicht genuin zum Buddha-Weg gehören. Mein zweiter Lehrer, Nishijima Roshi, hält sie auch in der Zen-Schulung für nicht angebracht.
Als weitere Jahre später mein Entschluss gefasst war, mich der Atmosphäre derart viril ausgespielter Aggressivität gänzlich zu entziehen und meinen italienischen Lehrer nach langer Zeit zu verlassen, war es kein leichter Schritt, die hervorragend erscheinenden Praxis- und Ausbildungsmöglichkeiten aufzugeben. Da offenbarte mir ein Traum, dass sich „ganz nebenbei“ ein altes, durch männliche Gewalttätigkeit bedingtes Trauma aus der Zeit der Kindheit weitgehend aufgelöst hatte – ein befreiendes Gefühl!
Irritationen durch den Erweckungsstock
Welche Erholung, beim Einzelgespräch eine Frau vor sich zu haben, ohne dass gleich die üblichen Mann-Frau-Spielchen losgehen, so platzte eine Teilnehmerin bei einem Sesshin heraus, kaum dass sie vor mir Platz genommen hatte. Da scheint sich ja im Kämmerlein mitunter allerlei abzuspielen zwischen Lehrer und Schülerinnen…Auch erlebte ich in Italien einmal einen Sommer, in dem die Frauen des inneren Kreises fast alle in den Meister verliebt waren…
Die natürliche Nähe im Gespräch unter Frauen führt meinem Eindruck überdies dazu, dass vertrauter über schwierige Befindlichkeiten gesprochen wird. Nach Kräften versuche ich dann mitfühlend und aus der Kenntnis verzwickter Verwicklungen, in die Frauen geraten können, im Sinne des Buddha-Weges zu ermutigen und zu fördern. Ein gleich starkes Engagement gilt jedoch auch den männlichen Schülern.
Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass die klassischen, lang erprobten Meditationsmethoden des Buddha-Weges das beste Training gleichermaßen für beide Geschlechter ermöglichen. Experimente mit weiteren Methoden wären aber im Vorfeld der spezifischen Wegbemühungen möglich, wenn Frauen es ablehnen, in gemischte Gruppen zu gehen. Das könnte zum Beispiel für die durch Missbrauch oder andere schlimme Erfahrungen traumatisierten Frauen erprobt werden. Wenn sie sich allerdings dauerhaft strikt weigern, sogar eine von einer Lehrerin geleitete gemischte Übungsgruppe aufzusuchen, mag die Frage erlaubt sein, ob sie sich wirklich dem wunderbaren Buddha-Weg öffnen möchten oder aber nur an einem Nest mit halb therapeutischer Betreuung anhaften wollen.
Zwei Aspekte seien hier noch angesprochen, die speziell die Zen-Praxis betreffen. Für Irritation sorgt bisweilen bei Frauen der berühmte „Erweckungsstock“, der Kyosaku. Meditierende, die sich müde oder unkonzentriert fühlen, können mit einem Zeichen einen Schlag auf eine bestimmte Schulterpartie erbeten, der ihnen helfen wird, erneut konzentriert zu sitzen. In den letzten Jahren ist es einige Male vorgekommen, dass allein ein Herumgehen mit dem Stock bei einer Frau starke, alte Ängste aktiviert hat, so dass sie abfahren wollte. In solch einem Falle nehme ich den Kyosaku bis zum Ende des Sesshins nicht wieder in die Hand. Ansonsten bin ich bemüht, den Übenden bereits zu Anfang seine Funktion zu erläutern und betone, dass niemand geschlagen werde, ohne darum zu bitten, und dass einige den Schlag durchaus gern empfangen möchten. Generell habe ich jedoch den Gebrauch des Kyosaku seit Jahren stark eingeschränkt.
Abschied von der „Patriarchenlinie“
Manche Frau ist überdies etwas irritiert, wenn sie zu hören bekommt, wir rezitierten die „Patriarchen-Linie“. Der aus der angelsächsischen Zen-Literatur übertragene Begriff Patriarchen ist dort ebenso unpassend wie im Deutschen. Gemeint sind damit jene Meister, die einem Schüler oder einer Schülerin bestätigen, zum Dharma erwacht zu sein und die, wie es heißt, ihm oder ihr den Dharma „übermitteln“, so dass eine lebendige Verbindungslinie bis zu Buddha zurückgeht. Es handelt sich also um unsere Vorfahren im Dharma, denen unser Gedenken gilt. Diese Bedeutung benennt auch der japanische Begriff Busso, der sich aus Butsu für Buddha und So für Vorfahren zusammensetzt. Das Betonen der Meister-Linien entwickelte sich in China in einem soziokulturellen Kontext, in dem eine historische Legitimierung der eigenen Tradition in Form einer fixierten Übermittlungslinie dienlich erschien. Unverkennbar geschah dies im Blick auf den traditionellen familiären Ahnenkult. Daher möchte ich dafür plädieren, den knappen und einprägsamen Begriff Dharma-Ahnen zu verwenden, jedenfalls die „Patriarchen“ gänzlich zu verabschieden. Die noch lebenden Meister könnten dann Dharma-Erben genannt werden.
Konfuzianisches Hierarchiedenken heute überholt
An meinem Wohnort Hannover habe ich das Glück, seit langem auch im vietnamesischen Kloster Pagode Vien Giac gut aufgenommen zu sein, wofür ich insbesondere Abt Thich Nhu Dien gegenüber große Dankbarkeit empfinde. Da ich dort jedoch nicht wohne und meine Zen-Aktivitäten anderswo entfalte, ist es für mich persönlich nicht von Bedeutung, dass in dieser größten buddhistischen Gemeinschaft in Deutschland die Nonnen den Mönchen deutlich nachgeordnet sind. Das ist an mancherlei Details zu beobachten. Es zeigt sich schon äußerlich an den unterschiedlichen Roben. Nicht allein die Farben sind verschieden, auch der Schnitt ist ein anderer. Den Mönchen ist der Kimonostil generell, den Nonnen hingegen nur in hoher Position erlaubt – ebenso die langen, weiten Ärmel. Unter dem Flickengewand (Kashaya) tragen die Nonnen ein graues Kleidungsstück, wie es auch die nicht Ordinierten benutzen. All dies unterscheidet die Situation grundsätzlich von ganz Ostasien: In China, Taiwan, Korea und auch in Japan gibt es diese Unterschiede nicht.
Konfuzianisches Hierarchiedenken und Aspekte der Nonnen-Gelübde, die an anderer Stelle Thema sind, mögen die Gründe für diese Ungleichheit sein. Längerfristig wäre es gewiss nicht schlecht, die Situation zu überdenken, insbesondere, wenn man auch deutsche Nonnen haben möchte. Denn diesen – und womöglich bald auch den Vietnamesinnen – wird der Zustand einfach als nicht angemessen und unbefriedigend erscheinen. Es wäre zu bedenken, dass Frauen im Westen heute eine im Prinzip gleichwertige Ausbildungs- und Entfaltungssituation gewöhnt sind und die rechtliche Gleichheit der Geschlechter im Grundgesetz verbürgt wird.
Das maßgebliche Kriterium für eine Gleichrangigkeit von Mönchen und Nonnen scheint mir die Möglichkeit zu sein, den Menschen auch als Dharma-Lehrerin dienen zu können. Gelehrt werden kann auf verschiedenen Ebenen. Es gibt die einfache inhaltliche Vermittlung der Buddha-Lehre, und es gibt die Dharma-Lehrer im engeren Sinne. Deren Worte und ihr wortloses Handeln basieren auf dem geöffneten Dharma-Auge.
Zen-Meister Dogen hat dieses Erfordernis bereits im 13. Jahrhundert detailliert erläutert und auf erfrischende Weise auf den Punkt gebracht (Shobogenzo-Raihai tokuzui). Nicht die Dauer des Ordiniertseins, nicht die Klosterämter, nicht das Geschlecht seien das entscheidende Kriterium, sondern allein die Frage, ob ein Mönch oder eine Nonne den Dharma erlangt habe. Meister Dogen nennt chinesische Nonnen, die auch von den Mönchen selbstverständlich als Lehrerin akzeptiert wurden und gibt zu denken: Weshalb sollten Männer [einer solchen Nonne] überlegen sein? Der Raum ist der Raum, die vier Elemente sind die vier Elemente, die fünf Skandas sind die fünf Skandas. Bei den Frauen ist es auch so. Was das Erlangen der Wahrheit betrifft, so erlangen beide [Männer und Frauen] die Wahrheit. Ihr solltet jedem Menschen, der den Dharma erlangt hat, eure tiefe Verehrung erweisen. Diskutiert nicht über Mann und Frau. Dies ist einer der wunderbarsten Dharma-Maßstäbe auf dem Buddha-Weg.
Zen-Meisterin Dagmar Doko Waskönig ist Dharma-Erbin von Gudo W. Nishijima Roshi und leitet das Zen Dojo Shobogendo in Hannover. www.shobogendo.de