Ritsunen Gabriele Linnebach
Zur Einweihung dieses wunderbaren Zen-Dojo Shobogendo möchte ich kurz etwas zur Bedeutung und Funktion eines Dojos (jap: Ort des Weges) sagen, aber zuerst ein wenig darüber, was Doko und mich verbindet: Vom selben Jahrgang, haben wir beide, unabhängig voneinander, in etwa zur gleichen Zeit zum Zen gefunden. Seit 2000 sind wir befreundet und haben denselben Meister, Gudo Wafu Nishijima Roshi. Am tiefsten verbunden sind wir aber durch unser beider Liebe zu Meister Dogen und seinem Hauptwerk, dem Shobogenzo. Doko hat dieses Werk sehr lange studiert und in ihrem Buch kommentiert, und meine Lebensaufgabe war, es zu übersetzen.
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, der allgemeinen Verunsicherung und Verwirrung. Man könnte fast sagen, dass wir zwischen den Welten leben – zwischen einer Welt, die vergangen ist, und einer anderen, die wir in ihrer Kontur noch nicht erkennen können. Dieses Dazwischen ist sehr schwer zu leben – für uns alle! Viele Menschen erfahren heutzutage eine immer größere Zunahme des Lebensdruckes, vor allem in den Städten. Das ganze System ist so organisiert, dass es extrem schwer geworden ist, Ruhe und inneren Frieden zu finden.
Nach der Buddha-Lehre ist der Ausgangspunkt für Ruhe und Frieden das regelmäßige Ausüben der Meditation. In unserer Schule wird diese „Zazen“ genannt. Zazen ist die Praxis, durch welche man über die Welt der Sinne und das rationale und emotionale Denken hinausgelangen kann. Dann beginnt man etwas von einer transzendenten Realität zu erfahren. In dem Maße, wie diese Erfahrung wächst, verändert sich auch die gesamte Haltung gegenüber anderen Menschen und der Welt, die uns umgibt. Werte wie Einsicht in die Vergänglichkeit und Bedingtheit der Welt, Mitgefühl und Weisheit können entstehen. Die Bedeutung und Funktion eines Dojos ist, ein Zentrum zu schaffen, in dem solche Werte praktiziert, erfahren und ins tägliche Leben umgesetzt werden können.
Ich denke, dass was uns heute am meisten fehlt, ist Weisheit, und Weisheit bedeutet Einsicht in dieunabwendbare Vergänglichkeit des Lebens und die Kraft, dieser Tatsache auch in Schwierigkeiten und Krisen mit einer positiven inneren Einstellung zu begegnen. In einem Dojo wird genau das eingeübt: ein Vorbeiziehen-Lassen dessen, was Angst und Leid verursacht. Wir üben ein fundamentales Loslassen, aus dem eine gewisse Gelassenheit, eine Art Gleichmut erwächst, die wir heute bitter nötig haben.
Doch diese Haltung ist, wie jeder weiß, keineswegs leicht und muss über Jahre und Jahrzehnte hinweg regelmäßig geübt und kultiviert werden. Es ist fast unmöglich, dies bei unserem Zeitmangel und den vielen Ablenkungen allein zu bewerkstelligen. Es wäre wie ein ständiges Gegen-den-StromSchwimmen. Wir brauchen die Gemeinschaft Gleichgesinnter, den Sangha, um diesen Weg realisieren zu können.
Aber schon zu Meister Dogens Zeiten war dies so. Er sagte: „Der Weg liegt in uns allen, und dennoch hängt es von der Hilfe des Sangha ab, ob wir ihn erreichen! Alle einzelnen sind hervorragend, und doch bedarf unsere eigene Weg-Übung der Kraft der Sangha-Mitglieder. Nur, wenn ihr unter der Anleitung eines guten Lehrers (oder einer Lehrerin) mit anderen gemeinsam übt und keine eigenen Ansichten hegt, werdet ihr auf natürliche Art Menschen des Weges.“
Wer sich heute entschließt den Buddha-Weg zu gehen, und damit nicht nur die rosigen, sondern auch die dornigen Seiten dieses Weges annimmt, braucht einen Dojo, einen Ort der Stille als Stütze und Heimat seiner Praxis. Er braucht eine Führung durch die Lehren des Buddha, durch unsere Vorfahren und durch eine lebende Lehrerin, die Hand in Hand mit ihm geht. In diesem Sinne wünsche ich Doko und allen Mitgliedern des wunderbaren neuen Zen-Dojo Shobogendo viel Kraft und Mut auf dem Weg.